Leben unter HP-Schalen

(c) J. Lehmann, Zittow

Wo die Schweriner(innen) früher ihre Bahnen zogen, können sie jetzt wohnen

Die Volksschwimmhalle Lankow in Schwerin ist die Gewinnerin des von  der Dres. Edith und Klaus Dyckerhoff-Stiftung 2024 erstmals vergebenen Preises „Lang lebe der Beton!“. Das Votum für die Sanierung und Umnutzung des ehemaligen Schwimmbads aus der DDR-Zeit zu Wohnungen fiel einstimmig aus. Insbesondere lobte die Jury die „außergewöhnliche Qualität und Stimmigkeit des Gesamtkonzeptes, den originellen typologischen Wandel des Gebäudes sowie die konsequent auf Nachhaltigkeit bedachte Bauweise“.

Die Rettung kam in letzter Minute. Einige Jahre schon stand die Schweriner Volksschwimmhalle am Lankower Seeufer leer, nachdem in der Landeshauptstadt 2014 ein neues Schwimmbad eröffnet war und sich für den überflüssigen Altbau aus dem Jahr 1976 keine Lösung finden wollte. So wurde er schließlich, obwohl wegen der ungewöhnlichen Beton-Deckenkonstruktion mittlerweile unter Denkmalschutz, zum Abriss freigegeben. Die Bagger standen schon bereit, als der Architekt Ulrich Bunnemann vom Büro „Schelfbauhütte“ die Initiative ergriff und den seriellen DDR-Typenbau mit dem markanten Dach vor dem Verschwinden bewahrte. Seit Herbst 2017 befinden sich dort, wo man früher seine Bahnen zog, sechzehn kleine Wohnungen. Noch dazu ist ein kleiner Teil des Bades für therapeutische und pädagogische Zwecke erhalten geblieben und steht auch den Bewohner(inne)n zur Verfügung. Somit wurde ein baukulturelles Denkmal bewahrt, das auf ökologische Weise erhalten und umgebaut wurde. Das Schwimmbad ist vielen in guter Erinnerung, und viele identifizieren auch heute noch damit.

Die Dachstruktur aus Beton: leicht, materialsparend und belastbar

Bei der Volksschwimmhalle Lankow handelt es sich um einen der vielen seriell geplanten Sport- und Gesellschaftsbauten der ehemaligen DDR. Der „Typ B – Bitterfeld“ (es gab A-D) verfügte über ein 25m Schwimmbecken, ein Nichtschwimmerbecken und eine Sauna. Die Konstruktion bestand im Wesentlichen aus Fertigteilen: eine Stahlbetonskelettkonstruktion aus vorgefertigten Stützen und Riegeln. Die Dachkonstruktion ergibt eine wellenförmige Betonstruktur, die sich aus ebenfalls vorgefertigten, sogenannten hyperbolischen Paraboloidschalen (“HP-Schalen“), zusammensetzt. Diese doppelt und gegenläufig gekrümmten Betonelemente, die man grob als Wannen oder gebogene Halbröhren bezeichnen könnte, funktionieren wie ein Träger. Aneinandergereiht ergeben sie außen an ihrer Front jeweils eine Wellenform – die Konstruktion selbst war in der Regel verdeckt. Dieses 1951 vom von dem Hallenser Architekten Herbert Müller (1920-1995) entwickelte System war durch eine zusätzliche Aussteifung und Kassettierung leicht und stabil, materialsparend und damit wirtschaftlich: Die Elemente konnten bei einer Schalendicke von nur 4,5cm eine Spannweite von bis zu 24m und 2m Breite aufweisen. Solche Bauteile wurden in der DDR ab den 1960er Jahren vor allem für Gesellschaftsbauten wie Schulen und Sportstätten, aber auch für Einfamilienhäuser, Industrie- und Kaufhallen und sogar Kirchen eingesetzt.

Beton-Bestand erhalten und umnutzen statt abreißen und neu bauen

„Erhalt ist immer der beste Weg für historische Gebäude, nicht nur baukulturell, sondern auch energetisch“, ist Ulrich Bunnemann überzeugt. Damit traf er – ohne es zu wissen – die Grundidee des jetzt von der Dyckerhoff-Stiftung ausgelobten Preises. Denn die „Graue Energie“, die im Beton steckt und für seine Herstellung und Errichtung aufgewendet wurde, wird mit jedem Abriss wieder freigesetzt und damit vernichtet, nur um erneut Ressourcen und Energie zu verbrauchen. Dabei ist das Material selbst durchaus dauerhaft. Als Stiftung, die die Baustoff-Forschung unterstützt, möchte die Dyckerhoff-Stiftung mit dieser neu ins Leben gerufenen Auszeichnung zur klugen Um- und Weiternutzung von bestehenden Betonbauten anregen. Daher ist sie auf der Suche nach innovativen Ansätzen zwischen experimenteller Erprobung, Wissenschaft und Forschung und praktischer Anwendung. Dafür recherchieren das Stiftungs-Kuratorium und der fachliche Beirat selbst; man kann sich nicht für diese Auszeichnung bewerben.

Die Rettung und Umsetzung: seriell trifft auf seriell

Als Bunnemann im August 2015 die Abrissarbeiten sah, entwickelte er spontan übers Wochenende ein Konzept, legte es der Stadtverwaltung vor – und erhielt das Gebäude zum Kauf. Somit agierte er als Investor, Bauherr und Architekt in Personalunion. Seinem persönlichen Einsatz ist zu verdanken, dass darin nun rund 1.300m² Wohnfläche zu einem bezahlbaren Mietpreis – beim Erstbezug 8,50 Euro / m² – entstanden sind. Da schnell und günstig geplant werden musste, wurden alle neu eingebauten Decken und Wände aus vorgefertigten Holzelementen errichtet. Somit entstand im Fertigteilgebäude ein weiteres Fertigteilsystem, dies jedoch mit einem nachwachsenden Rohstoff, und darüber hinaus autark und rückbaubar. Die schnelle und günstige Fertigbauweise wurde somit an diesem Gebäude gleich zweimal und jeweils ihrer Zeit gemäß – einmal historisch und einmal zeitgenössisch – durchgespielt.

Ein kleiner Teil des großen Schwimmbeckens wird noch für Reha-Sport und von der Öffentlichkeit insbesondere für Kinder-Schwimmkurse genutzt, damit es mit dem neuen Schwimmbad nicht in Konkurrenz tritt. Diese Doppelnutzung bzw. der teilweise Erhalt der ursprünglichen Funktion wurde – neben der ebenfalls lobenswerten Schaffung von Wohnraum – von der Jury besonders hervorgehoben. Die zuvor verdeckte Deckenkonstruktion wurde freigelegt und gibt sich erst jetzt in voller Pracht zu erkennen. Aufgrund dieser Inszenierung entfalten die Schalen jetzt nicht nur ihre statische, sondern auch ihre ästhetische Wirkung.

Das Foyer als Mittelpunkt

Die Dachkonstruktion des „Typ Bitterfeld“ gibt vor, dass die HP-Schalen asymmetrisch nach innen geneigt sind. Das bedeutet, dass der Innenraum tiefer ist als die ihrerseits über 6 Meter hohen Fassaden. Da es generell nicht möglich wäre, eine tiefe Halle im Innern mit Wohnungen auszustatten, gliedern sich diese entlang der beiden großzügig befensterten Längsfassaden: am tieferen Teil erstrecken sich acht Maisonettewohnungen mit drei Zimmern, an der höheren Fassade konnten je vier barrierefreie Zweizimmer-Wohnungen auf zwei Geschosse verteilt werden.

Die Mitte bildet jetzt ein großes Foyer, von dem aus die eher einfach ausgestatteten Wohnungen zugänglich sind – die oberen über eine Holztreppe mit Galerie oder über eine Liftplattform. Als kleine Reminiszenz an die alte Struktur erinnern ein alter Startblock und dem originalen Vorbild entsprechende Bodenfliesen an die alte Funktion. In diesem Foyer trifft man sich, läuft man sich über den Weg, hier können Feste gefeiert werden: der soziale Austausch findet so praktisch von alleine statt. Die Bewohner(innen) ehemaligen Schwimmbads leben hier nach eigener Auskunft sehr zufrieden – unter dem inzwischen einzigen erhaltenen HP-Schalendach in Mecklenburg-Vorpommern.

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